Digitale Trauerbegleitung – wie digitalisieren wir Menschlichkeit?

Es ist fast nichts mehr wie es einmal war, wenn Krankheit, Tod und Sterben in unser Leben treten. Ein wichtiger Aspekt des Trauerprozesses ist der Kontakt zu Menschen, zu sozialen Ankern, die uns den nötigen Halt geben – gerade wenn es sich bei den Trauernden um Kinder und Jugendliche handelt. Die Realität der Covid-19 Pandemie erlaubt uns diesen Kontakt nicht mehr, und so finden wir uns in einer Situation wieder, in der wir die Grundsätze des menschlichen Verhaltens in diesen Zeiten neu erfinden müssen. Digital. Distant. Kontaktlos. Und doch: kann uns das „New Normal“ in der Trauerbegleitung und in der therapeutischen Zusammenarbeit neue Möglichkeiten aufzeigen? In einem dreiköpfigen Kooperationsprojekt zwischen Breitenstein Consulting, der Ludwig-Maximilians-Universität und einem Münchner Zentrum für Trauerbegleitung entwickelte ein interdisziplinäres Team ein individualisiertes Konzept für die Online-Gruppen-Trauerbegleitung.

Change Management und Trauerbegleitung gehen Hand in Hand. Die verschiedenen Emotionsphasen bei einem anstehenden Change-Prozess werden oft mit dem Verlauf der Trauerphasen nach dem Modell von Elisabeth Kübler-Ross verglichen: Auf eine Phase des Schocks, folgen Verweigerung, Wut, Trauer, Anpassung, und schließlich die Zustimmung. Für diesen Prozess benötigt man Raum und Zeit. Das Trauerzentrum lebt eine Philosophie, in der Kontakt mit Anderen nicht wegzudenken ist. Wichtig sind hier der geschützte Rahmen, Regelmäßigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und gruppendynamische Unterstützung. Da das Zentrum sich gerade auf die Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche spezialisiert, wird hier vor allem betont, dass Kinder oft anders Trauern: Sie springen in ihre Trauer hinein und wieder heraus und sie drücken ihre Trauer nicht immer mit Worten und Tränen aus. Schnell wird klar: die digitale Trauerbegleitung kann nicht den direkten Menschenkontakt ersetzen. Um ein Konzept für die Online-Gruppen-Trauerbegleitung zu entwickeln begann unser Projekt Team eine sensible und grundlegende Analysephase, um die therapeutische Gruppenarbeit des Trauerzentrums zu verstehen und die Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit zu erschließen.

Um den Trauernden die Möglichkeit zu geben vor dem Bildschirm und auf Distanz zu der Trauergruppe das Gefühl des geschützten Rahmens zu spüren und doch selbstbestimmt zu sein, bedarf es einer klaren Agenda mit Grundregeln der Kommunikation, Möglichkeiten der Einzelvertiefung, Aktivphasen und eindeutiger Rollenverteilung mit Moderation. Zentral in der Online-Gruppenarbeit ist außerdem das „Digitale Ich“. Damit die Trauernden das Gefühl bekommen, dass sie an einer sozialen Interaktion teilnehmen, soll die Gruppe an der Umgebung jedes und jeder Trauernden teilnehmen. Die jeweilige Umgebung der Trauernden soll also vorgestellt und geteilt werden. Objekte wie das Bett, das Sofa oder der Teppich werden benutzt, um die Orte des Trauerns zu erschließen. Anhand dieses Ansatzes werden die Trauernden in einen echten, räumlichen Trauerprozess eingebettet. Der jeweilige Ort bietet teils noch mehr Möglichkeiten der persönlichen Vertiefungsarbeit als das Trauerzentrum!

Die Entwicklung dieses Konzeptes repräsentiert für uns weit mehr als ein simples Digitalisierungsprojekt. Es zeigt uns, dass die digitale Welt uns Möglichkeiten gibt, die erst jetzt, in Zeiten der Covid-19 Pandemie, in den Fokus rücken. Das „New Normal“ betrifft alle. Es nimmt keine Rücksicht darauf, ob wir krank sind, Menschen verloren haben, oder gesund sind. Umso wichtiger ist es, diese Entwicklung anzunehmen und, in Zusammenarbeit mit Fachexperten, Möglichkeiten zu entwickeln, um scheinbar undigitalisierbare, menschliche Themen wie die Trauer zu transfomieren.