Back to new normal ist die falsche Diskussion. Es wird keine einfache neue Normalität mit etwas mehr Abstand geben. Und auch kein schnelles ‚V‘. Was ist jetzt zu tun?

Arbeits- und Finanzmärkte befinden sich unter dem Sauerstoffzelt von Finanzhilfen und Kurzarbeitergeld. Die eigentliche ökonomische Krise wird erst noch kommen: mit Pleitewelle, veränderten Wertschöpfungsketten, verändertem Konsumverhalten, anderer Arbeitsorganisation. Denn die Krise ist in vielen globalen Regionen und Wirtschaftsräumen erst am Anrollen. Und: COVID-19 hat als Brandbeschleuniger für zwei Trends gewirkt, die über kurz
oder lang sowieso tiefgreifende Veränderungen bewirkt hätten: Digitalisierung und die Klimakrise – mit notwendigem Umbau unseres Wirtschafssystems. Viel zu tief hat das Virus auch in Persönliches eingegriffen: Unsere Kultur der Erreichbarkeit, Work-Life-Integration, veränderter sozialer Zusammenhalt trotz physischer Distanz, die Wahrnehmung von kleinräumiger Lebensqualität, Mobilität, Bedeutung von Natur ohne Verkehr, Gesundheit, Familie, etc.

Diese Wahrnehmungs- und Verhaltensveränderungen werden ökonomische Verschiebungen nach sich ziehen. Nie waren individuelle Verhaltensveränderung und die ökonomische Großwetterlage so eng verbunden wie jetzt!

Aber es wird wieder eine Erholung geben.

Die Erholung wird sich in Wellen und Kurven vollziehen, getrieben von verschiedensten sozioökonomischen Faktoren. Ökonomen sprechen jetzt von einem U. Wie lange oder flach dieses U wird, wird von Branche zu Branche sehr unterschiedlich sein.

Wer gehört zu den Gewinnern – wer zu den Verlierern dieser Verschiebungen? Und wie kann man das ‚U‘ seiner eigenen Organisation steuern?

Im Change-Management kennt man ebenfalls Veränderungskurven – etwa eine, die auf Elisabeth Kübler-Ross zurück geht. Diese misst die Gefühlsschwankungen von Schock, Trauer, Hoffnung, Neuorientierung über die Zeit und die Handlungsenergie, die Menschen dabei entwickeln, sich aus einer Krise herauszuarbeiten. Auf diese Handlungsenergie – man könnte auch Motivation dazu sagen – kommt es jetzt an. Verhaltensänderung braucht oft zunächst schmerzhafte, lähmende Gefühlslagen, um daraus Energie zu schöpfen.

 

 

Dieser ‚Sense of Urgency‘ ist jetzt da – das ist eine große Chance für viele Organisationen. Charles Darwin hat mal gesagt: ‚It is not the strongest of the species that survives, nor the most intelligent one, but the one most responsive to change’.

Schaut man in die menschliche Geschichte oder auch in die Natur (etwa nach Waldbränden):
Die allermeisten Krisen ziehen langfristig ein höheres Entwicklungsniveau nach sich als vorher. Hier scheinen systemische Gesetzmäßigkeiten zu walten. Und auch in der Wirtschaft: Viele alte Unternehmen verschwinden oft in Krisen, neue kommen hinzu – aber auch einige der alten Unternehmen transformieren sich und werden sogar stärker als vor der Krise.

Aber wie geht das?

Wie kann man sein unternehmerisches ‚U‘ aktiv gestalten und zu denen gehören, die ‚most responsive to change‘ sind? Als Change Manager beschäftigen wir uns seit vielen Jahren mit solchen Phänomenen und lernen aus der Begleitung von Unternehmen.

Einen der Faktoren habe ich gerade schon herausgearbeitet: Es geht um Arbeit mit der Motivation, mit der Handlungsenergie von Menschen in Organisationen.

Der zweite Faktor ist Innovation.
Die Überlebenden oder ‚Erstarkten‘ einer Krise sind meist diejenigen, die innovieren. Die richtigen Innovationen sind also der zweite Schlüssel – neben der Motivation als Handlungsenergie. Und dabei geht es nicht immer zwingend um technische Innovationen!
Neue Kundenbedürfnisse genau zu verstehen und schnell darauf zu reagieren, neue regulative Normen zu interpretieren, Opportunitäten in Liefer- und Wertschöpfungsketten zu erkennen, Allianzen zu schließen, sind neben aller digitaler Technik wichtig. Man muss also die Treibergrößen des
eigenen Geschäftes über den eigenen Wertschöpfungsbeitrag hinaus erkennen und in Bezug auf die Zukunft interpretieren können. Dazu gibt es
bewährte Methoden und Instrumente.

Man kann sich also eine Beratungsfirma anheuern und die systemischen Effekte der massiven Veränderungen und Lösungsoptionen für das eigene
Geschäftsmodell, die eigene Branche erarbeiten lassen. Das ist gut, freut mich als Berater natürlich, kostet aber meist viel Geld.

Ein anderer Weg wäre, die Talente in der eigenen Organisation dafür systematisch zu mobilisieren. Niemand kennt das eigene Geschäft besser als die eigenen Mitarbeiter*innen. In der eigenen Organisation schlummern oft ungenutzte Kompetenzen. Mitarbeiter*innen haben oft einen schärferen Blick für Schwächen einer Organisation als man denkt. Man muss nur wissen, wie man sie richtig fragt, um Betriebsblindheit zu überwinden. Das ist ein wenig die Kunst.
Und man muss den eigenen Innovatoren (Denk-) Freiräume schaffen und ihnen die entsprechende Methodik an die Hand geben. Dann schlummert fast in jeder Organisation ein völlig unterschätztes Innovationspotenzial – ein ‚Keim‘ des Neuen nach der Krise.
Und dazu kommt der oben genannte Motivationseffekt: Sichtbarkeit bekommen, Projekterfahrung gewinnen, Innovationsmethodik lernen, Mitgestalten können. Selbstwirksamkeitserfahrung schafft Selbstbewusstsein – eine alte pädagogische Weisheit. Genau dieses Selbstbewusstsein braucht man, um die notwendige Handlungsenergie in einer Krise zu entfalten – für möglichst viele Menschen in der Organisation. Darüber hinaus haben selbstentwickelte Innovationen eine wesentlich höhere Umsetzungswahrscheinlichkeit als beraterinduzierte!

Der aktivierende Schock des ersten Lockdowns hat die notwendige Sensibilisierung und Aufmerksamkeit in vielen Organisationen erzeugt. Das war gut und notwendig In genau dieser Phase der Krise. Und diesen aktivierenden Effekt, dieses Momentum in Bezug auf das ‚offene Fenster‘ der Veränderungsbereitschaft gilt es gerade jetzt zu nutzen.

Man muss es nur richtig machen.

Es braucht ein vom Topmanagement getriebenes und getragenes Veränderungsprojekt. Das kann in kleinem Ausmaß starten im Sinne eines ganzheitlichen ‚Health Checks‘, der die systemischen Wirkungen der Krise aufs Geschäft und die Gefühlslagen der eigenen Mitarbeiterschaft erstmal offenlegt. Das kann mit den entsprechenden Instrumenten in 2-3 Wochen gut gemacht werden. Dabei kann man auch Talente (Menschen und Kompetenzen) identifizieren.
Aus dieser fundierten Analyse können sich dann
Fokusthemen entwickeln, die das Management für lohnenswert befindet, diese nachzuverfolgen. Eine Talent-getriebene Innovationsinitiative wäre dann ein Programm, das sich daraus ergeben kann (jedoch nicht muss). Mit eigenen Talenten in Projektverantwortung, aber unter Beteiligung möglichst vieler Mitarbeiter*innen, werden Maßnahmen erarbeitet.
Die Maßnahmen müssen nachhaltig sein. Nachhaltig heißt für uns, nicht nur Strategie neu auszurichten, sondern auch Organisation, Prozesse und Strukturen, Führung und Zusammenarbeit sowie Kultur, Werte und Haltung zu hinterfragen und entsprechend weiterzuentwickeln. Und in einer ‚großen‘ Erzählung auch entsprechend kommunikativ aufzuwerten. Kommunikation ist ein Schlüssel.

Wir haben in einer Vielzahl von Unternehmen ‚Health Checks‘ und ‚Talentinitiativen‘ dieser Art nach Krisen durchgeführt und mit diesen auch große Veränderungsprojekte (‚Transformation Journeys‘) implementiert – zu einem Bruchteil sonst üblicher Beraterkosten. Und selbstverständlich behält das Führungsteam dabei immer die Hand am Steuer – als Mentoren für die Projekte und die Talente.

Ein Lernfeld also für beide Seiten und die gesamte Organisation.

Unsere Post-Pandemie-Formel:

 

Alexander Gisdakis