Das neue HR-Dilemma

Stellt eine neue Personalabbauwelle die Personalarbeit vor ein unlösbares Dilemma?

Die vergangenen Jahre haben Personalarbeit positiv geprägt:

Neue Arbeitskultur, Digitalisierung, NewWork, Diversity, flache Strukturen, Agiles Mindset, neue Lernformate, GenY, Demokratisierung, Value Based Leadership – und vor allem ein auf Recruitingmärkte ausgerichtetes positives Arbeitgeberimage nach draußen. Die letzten Monate deuten jedoch darauf hin dass ein altes Gespenst wieder kommt: Die Restrukturierung mit Personalabbau. Zwei Faktoren kumulieren gerade besonders: der zu Ende gehende Konjunkturzyklus – befeuert durch Handelskonflikte, die ersten echten Di­gitalisierungsopfer in höher qualifizierten Ver­waltungsberufen.

Gleichzeitig lässt aber der Fachkräftemangel – Demographie-getrieben – nicht nach. Und die Digitalisierung dürstet immer noch nach IT Experten.

Zum ersten Mal in der mir bekannten Ge­schichte wird es eine ziemliche Gleichzeitig­keit der Großwetterlage geben: Personalab­bau bei gleichzeitigem Fachkräftemangel.

Wirklich ein Dilemma?

Ich sehe ein Dilemma für HR in vielfacher Hin­sicht:

Wir hatten in früheren Phasen Personalarbeit in Restrukturierungsphasen einerseits und Perso­nalarbeit in Wachstumsphasen andererseits.

In Restrukturierungsphasen hat das Arbeits­recht den Takt geschlagen: Keine offenen Stellen, intensive, konfliktreiche Kommunikation. Und das Klima war mal de­pressiv mal geschäftig, die Arbeit war sehr tak­tisch und zielorientiert geprägt – die Juristen im Haus hatten Oberwasser. Man siezte sich. Die Türen der Personalabteilung musste man ab­ schließen. Ein ,Gespräch mit dem Personaler‘ konnte regelrecht Panik auslösen.

Die HR Arbeit in Wachstumsphasen sah völlig anders aus: Wachstumsstrategien verstehen, strategische Personalplanung, Talentmessen, lnterviewtage und Bewerbermanagement, neue Recruiting-lnstrumente, Kampf um die besten Köpfe, neue Büros beziehen, Kompe­ tenzmanagement, neue Arbeits- und Lernfor­mate, viel Ausprobieren, kreative Beratungsin­strumente wie Design Thinking, SCRUM, Prä­mien und Bonusprogramme, Traineepro­gramme, Führungskräfteentwicklung, flexible Arbeitsformen, neue Tools ausprobieren, Imagearbeit für die Arbeitgebermarke. Das Klima war und ist in vielen HR Organisationen noch: Aufbruchstimmung! Die Betriebsräte werden zu Partnern, Personaler sind experi­mentierbereite, energiegeladene Aushänge­schilder für den Kampf um die Besten. Und nach innen kreative Ermöglicher von Wachs­tum, persönliche Coaches oder Moderatoren von Veränderungen. Ich liebe diese Phase!

Viele der neuen HR Verantwortlichen – selbst meist Generation Y – haben die Personalarbeit selbst nur in dieser einen positiven Wachstums­ phase wirklich erlebt. Und sie erleben sich meist in der zweiten Rolle.

Können sie wirklich restrukturieren wenn es da­ rauf ankommt und die Zukunft der Firma da­ von abhängt? Ich meine das nicht nur fachlich/technisch, sondern auch was die ei­gene Rolle betrifft, die Form der Zusammenar­beit – das etwas andere Klima.

Eine neue Gleichzeitigkeit

Ich halte die massive Gleichzeitigkeit von Per­sonalabbau und den Kampf um Talente zu­ nächst für widersprüchlich – auf ganz unter­schiedlichen Ebenen:

Arbeitgeberimage: Wie geht das zusammen auf einem immer transparenten Imagemarkt­ Personalabbau – und gleichzeitig attraktiver Anziehungspunkt Menschen auf allen Unter­nehmensebenen zu sein?

Werte, Haltung, Kultur: Veränderungsbereit­schaft, Offenheit und Experimentierfreude, Fehler machen dürfen benötigt eine ganz spe­zielle Haltung, bestimmte Werte. Wie glaub­ würdig sind die noch, wenn es auf der ande­ren Seite Listen gibt, Kriterien nach denen Menschen das Unternehmen verlassen müs­sen? Wie authentisch ist ein Projekt für mehr Ownership – wenn das Kündigungsrecht in ei­ner Organisation waltet?

Kompetenzen: Von der Restrukturierungskom­petenz der Personaler war ja schon die Rede. Aber wie steht es um die der Führungskräfte? Das deutsche Arbeitsrecht kennt die spezifi­sche Rolle von Vorgesetzten in Restrukturie­rungsphasen. Wer traut sich dann noch als Chefin in die Rolle des SCRUM Masters – oder in die des Teammitglieds zu schlüpfen? Und was, wenn wichtige Kompetenzen von Mitar­beitern nicht mehr vor allem ,agil‘ heißen – sondern wieder ,arbeitsplatzrelevante Qualifi­kationen‘?

Strukturen: Was, wenn Strukturen wie Aufga­benbeschreibungen, Eingruppierungen, Ab­teilungszugehörigkeiten, formale Qualifikati­onsniveaus oder Anwesenheiten, messbare Performancekriterien über den Verbleib im Un­ternehmen entscheiden können?

Restrukturierungsprozesse sind höllisch büro­kratisch. Wie verträgt sich das mit flachen, agi­len Organisationen?

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?

Man kann das Dilemma auf verschiedenen Ebenen strategisch etwas entschärfen.

Unternehmensteile können legal und kommu­nikativ in innovative und belastete getrennt werden. Das tun Siemens oder die Energiekonzerne gerade. Oder der Ansatz, eine Restrukturierung sehr schnell über die Bühne gehen zu lassen um dann schnell in eine positive Kultur zurückzu­kehren. Wenn das denn wirklich geht. Vielfach werden Interimsmanager eingesetzt die als ,bad guy‘ die eigene Führungsmann­ schon und die eigene Personalverantwortli­chen ,schützen‘. Auch das hat Grenzen der Glaubwürdigkeit als Ganzes.

Es gibt darüber hinaus einige taktische Erfah­rungen aus M&A Integrationsprojekten wie man den Spagat zwischen gleichzeitig Syner­gien heben – trotzdem gemeinsam nach vorne schauen – im Projektansatz und kom­munikativ lösen kann.

Strategisch wird vor allem auch Kompetenz­management wieder zum Schlüssel: Das Ar­beitsrecht kennt im Personalabbau vor allem Arbeitsplätze, die wegfallen. Sich davon zu lö­sen und zunächst mal in Kompetenzen zu den­ken die zukünftig benötigt werden, schafft ei­nen anderen lösungsorientierten Zugang. Wo liegen verborgene Kompetenzen der MA? Wo kann man sie noch einsetzen? Wo lassen sich Menschen (schnell) weiterqualifizieren?

Alle diese Ansätze helfen, lösen aber nicht den grundsätzlichen Widerspruch.

Gleichzeitig Wachstums-, und Restrukturie­rungsbedarfe zu haben kennt zwar das Ar­beitsrecht nicht so richtig – ist jedoch im Grunde betrachtet völlig normal in Phasen von Wandel. Die eigene Kultur und Werte so zu gestalten, dass sie sowohl Veränderungsbereitschaft und Offenheit fördern und damit Attraktivität nach außen erzeugen, und trotzdem einer Organisation die Legitimität geben sich zu trennen – das wäre das Ziel.

Einen Personalabbau so zu gestalten, dass er das positive Wertegerüst einer Organisation nicht beschädigt wäre meines Erachtens der eigentliche Prüfpunkt dafür, wie glaubwürdig diese Kultur und Werte wirklich sind. Das hieße für mich, sich von Schönwetterpa­rolen mal zu trennen und sich als Manage­ment Team sehr bewusst diesem Dilemma zu stellen.

Wie können wir als Organisation authentisch zu unserer ,agilen‘ Kultur stehen und trotzdem kritische Botschaften überbringen dürfen?

Das benötigt eine Transformation Journey und eine Unternehmenserzählung die au­thentisch ist und negative Aspekte nicht aus­ blendet – sondern sich ihnen stellt. Aus Managementbüchern abgeschriebene Führungsideale werden sonst ganz schnell entlarvt. Trägt unsere offene Kultur auch in schlechten Zeiten? Auch wenn uns das Ar­beitsrecht faktisch zwingt taktisch zu schwei­gen?

Die HR Organisation lebt davon, dass die Füh­rungsmannschaft an dieser Stelle klar ist. Und sie braucht dann Spielraum. Den Spiel­raum nicht in Trennungsverhandlungen den letzten Cent rausholen zu müssen. Den Spiel­ raum nicht an der Abarbeitung von ,Ab­schusslisten‘ gemessen zu werden. Den Spielraum Unternehmensinteressen im Blick zu haben und trotzdem individuellen Be­dürfnissen der Mitarbeiter entgegen kommen zu dürfen. Etwa wenn ein Mitarbeiter zwar nicht jetzt, sondern in einem Jahr gehen könnte. Oder eine ganz spezifische Unterstüt­zung auf dem Weg in die Selbstständigkeit braucht.

Kreative, einvernehmliche Trennungsformate und Ausstiegsszenarien die sogar eine win-win Situation herstellen können, sind möglich, mit ein wenig ,agilem‘ Bewusstsein und dem Faktor Zeit etwas mehr Budget.

Hier muss abgewogen werden:

Wieviel mehr Zeit, Geld und Flexibilität ist es uns wert einen großen Flurschaden in unserer Unternehmenskultur zu vermeiden? Müssen wir wirklich alle Arbeitsrechtlichen Register zie­hen – und nehmen eine Polarisierung (auch mit den Betriebsräten) in Kauf? Voraussetzung dafür wäre natürlich dafür, dass die Organisation dafür nicht wirtschaft­lich mit dem Rücken zu Wand steht. Oder von der fernen Konzernzentrale an rein quantitati­ven KPls gemessen wird – oder von externen Beratungen ferngesteuert wird. Personaler brauchen hier neben arbeitsrecht­lichem und strategischem Wissen, viel Empa­thie, Kreativität und mediierende Fähigkeiten.

Ich bin der Überzeugung:

Es gibt eine wertschätzende Trennungskultur, die sogar die Attraktivität als Arbeitgeber­ marke steigern kann und nicht im Wider­spruch zu einer menschlichen transformativen Arbeitskultur stehen muss.

Es gibt also Auswege aus dem Dilemma.

 

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