Janina Kugel und andere prominente Frauen haben die berechtigte Debatte um die Frauenquote reaktiviert. Zurecht, wie ich finde – eine Initiative der Bundeskanzlerin zu freiwilligen Quoten vor etwa 10 Jahren ist krachend gescheitert.
Ist ausgerechnet jetzt Zeit für eine Quote?
Und was braucht es da noch?
Sollte man als Mann überhaupt in dieser Diskussion Stellung beziehen oder besser die Klappe halten? Ich habe mich für Ersteres entschieden. Nicht nur weil ich selbst zwei Töchter (und einen Sohn) habe, sowie eine Frau in einer Managementposition. Ich hatte in meiner beruflichen Laufbahn in der Mehrzahl Frauen als Vorgesetzte und durfte die erste Frau in einem deutschen Dax Vorstand (Barbara Kux) als Personalreferent begleiten.
Und ich habe in den vergangenen fast 30 Jahren an mehreren hundert Besetzungen von Führungsfunktionen in einem großen Konzern mitgewirkt. Dabei konnte ich das Entstehen von Diversität und vor allem Diskriminierung wie in einem Brennglas mitverfolgen. Vielleicht habe ich mich auch mit schuldig gemacht. Zumindest denke ich, dass es einige wertvolle Erkenntnisse zu teilen gibt. Vor allem aber führt es mich zu einer klaren Position: Wir brauchen jetzt Quoten! Und vor allem, wir brauchen eine weitere wichtige Maßnahme: Die Förderung von Führungstandems.
Diversität ist schon lange ein Ziel
Bereits Mitte der 90’er Jahre hatte mein damaliger Arbeitgeber, ein deutscher Konzern, erkannt, dass die Führungsstruktur zu homogen in Bezug auf Geschlecht (männlich) und kulturelle Herkunft (deutsch) besetzt war. Ich arbeitete damals in einer Abteilung, die direkt dem Vorstandsvorsitzenden zugeordnet war. Unsere Chefin war eine Frau. Unsere Einheit hatte unter anderem den Auftrag, die 300 wichtigsten Führungsfunktionen zu besetzen. Dabei hatten wir die Möglichkeit, eigene Kandidat*innen zu identifizieren und zu fördern. Unser expliziter Auftrag war für Diversität bei der Nachwuchspflege zu sorgen. Zwar spielte vor allem der Mangel an nicht-deutschen Kandidaten eine wichtige Rolle, denn schon damals lagen 80% des Geschäftes im Ausland, aber nur ein Bruchteil der Führungskräfte kam nicht aus Deutschland. Auch der Mangel an weiblichen Führungskräften in diesem Kreis zeigte sich durch einen Besetzungsanteil im niedrigen Prozentbereich. Dies führte zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil auf den Arbeitsmärkten. Ich habe später, als ich für Barbara Kux arbeitete, gemerkt, welche Zug-Funktion eine Frau an der Spitze auf die Bewerbung von weiblichen Führungskräften hatte. Schon damals gab es zwar weniger Frauen als Männer unter den Talenten, – in einem Technikkonzern ist das plausibel, denn es ist auch eine Folge der Studienwahl – aber mehr als 30% der jüngeren Talente waren Frauen. Was passierte dann? Warum haben diese Frauen bis heute 20 Jahre später nicht in gleichen Prozentanteilen ihren Weg an die Spitze geschafft? Was ist aus ihnen geworden?
Der entscheidende Moment: Die Besetzungsentscheidung
Der entscheidende Moment in einer Karriere war die Besetzungssitzung, die immer unter Beteiligung der Vorstände fiel. Die Diskussionen dort zeigten eine Vielzahl von Mechanismen, die wichtig sind, um das Problem der Diskriminierung effektiv zu durchbrechen. Wir hatten üblicherweise drei Kandidat*innen vorzuschlagen: Ein/e Kandidat/in war meist der/die vom Geschäftsbereich präferierte Nachfolger/in – in keinem Fall erinnere ich mich hier an eine Frau! Zwei weitere Kandidat*innen konnten wir aus dem Pool beisteuern. Hier haben wir vielfach bewusst diverse Kandidat*innen eingesteuert – zeitweise versuchten wir immer eine/n nicht-deutschen Kandidat/in und eine Frau auf die Liste zu setzen. In einigen Fällen wurden auch externe Kandidat*innen dazu gefügt. Die Kandidat*innen wurden meist auf einem Formular – ähnlich einem Lebenslauf präsentiert und wir hatte die Möglichkeit, unsere Eindrücke über Potenzial und Qualitäten zu schildern – schriftlich und teilweise auch mündlich. Die Szene glich einem Tribunal. Für lange Zeit gab es zusätzlich auch Beurteilungen externer Personalberatungen, um für mehr Objektivität zu sorgen. In dieser Runde entwickelte sich vielfach eine spannende Diskussion über Anforderungen an eine Stelle und diverse Diskussionen über die Kandidat*innen und deren Eignung. Die Firmenleitung, Personalvorstand und unsere Leitung hatten meist ein besonderes Augenmerk auf die diversen Kandidat*innen, die Geschäftsverantwortlichen dagegen vermehrt auf den eigenen Nachfolgekandidat*innen. In den seltensten Fällen setzten sich die diversen Kandidat*innen in diesen Besetzungsrunden durch –ich erinnere mich an maximal zwei Frauen, die bei ‚meinen‘ Besetzungsentscheidungen das Rennen machten. Warum?
Es gab einen entscheidenden Faktor, der unausgesprochen die Besetzungsentscheidung getrieben hat – dieser war Loyalität. Matrixorganisationen sind komplex zu steuern. Um eine Strategie erfolgreich durchzusetzen, braucht man politische Allianzen. Und die erfordern Loyalität. Loyalität entsteht bei Nachfolgekandidat*innen durch jahrelange vertrauensvolle Beziehungen und Netzwerke, sowie durch Selbstähnlichkeit bei Auswahl und Förderung der eigenen, nachgeordneten Führungskräfte. Jede/r Kandidat*In, der/die diverse Aspekte mit einbringt (das gilt für das Geschlecht genauso wie eine diverse kulturelle Herkunft), stellt aus Sicht des besetzenden Entscheiders bzw. der besetzenden Entscheiderin immer ein Risiko dar. Diversität in Führungsteams als wichtiger Faktor für langfristigen Erfolg wurde wie erwähnt damals schon erkannt – jedoch nur langfristig und strategisch. In einer dringenden Besetzungsentscheidung und in der möglicherweise kritischen Unternehmenssituation, in der sie oftmals fällt, ist Diversität und Potenzial immer das schwächere Argument gegenüber dem naheliegenden der Vertrautheit und Loyalität.
Quote hilft bei Risikobereitschaft zur Diversität
Hier braucht es eine Instanz, die mit großer Durchsetzungskraft und starken Fakten für diverse Kandidat*innen argumentiert. Genau das traute sich in der Drucksituation von der Unternehmensleitung meist niemand – da war man zu weit weg vom Geschäft und der Rolle. Auch für die Frauen am Entscheidungs-Tisch ist diese Rolle eine sehr undankbare. Sie setzt sich mehreren potenziellen Risiken aus – deshalb habe ich da oft kaum Solidarität mit den Geschlechtsgenossinnen erkennen können: Wer will denn schon in den Verdacht kommen, männliche Kandidaten zu benachteiligen? Braucht es nicht tatsächlich den Stallgeruch der Organisation, um da ernst genommen zu werden? Wenn ich mich hier aus dem Fenster lehne, bin ich nachher schuld, wenn es nicht funktioniert. Schafft die Kandidatin den 60-80-Stunden-Job neben der Familie?
Eine solche Besetzungsrunde ist eine Spannungssituation, in der alle subtilen und offenen Mechanismen von Risikovermeidung – die ich hier nicht alle wiederholen kann aber die allgemein bekannt sind – zum Tragen kommen. Neben vielen Vorurteilen und Wahrnehmungsverzerrung bei den Entscheider*innen spielt also auch der Umstand eine Rolle, dass in der Entscheidung zwischen Diversität und Vertrauen/Vertrautheit Diversität immer Risikobereitschaft voraussetzt. Diese ist in politischen Setups wie in Konzernen immer an Persönlichkeiten, die sich für Diversität stark machen und vor allem dem Weitblick Diversität als grundsätzlichen Vorteil in einer VUCA-Welt anzuerkennen, gebunden.
Gremien neigen eher nicht zur Risikobereitschaft.
Genau hier hilft eine Quote auf jeden Fall. Sie muss nicht zu Anfang gleich bei 50% liegen, sondern kann sich in 5 Jahresschritten von 30% aufbauen. Und ja, sie wird auch vereinzelt Fehlbesetzungen zur Folge haben – vor allem dort, wo man in den vergangenen Jahren ‚nur‘ diverse Alibi-Kandidat*Innen entwickelt und keine attraktiven Bedingungen für externe Kandidat*innen geschaffen hat. Aber die Quote wird mittelfristig einen Standard herbeiführen, der sich etablieren und nicht mehr hinterfragt werden wird. So wie das etwa in der Partei Die Grünen seit Jahrzehnten der Fall ist. Die Grünen profitieren jetzt auch davon. Diversität erzeugt langfristig einen Wettbewerbsvorteil.
Strukturelle Benachteiligung von weiblichen Führungsbiografien
Es gibt noch ein ‚Aber‘: Bei vielen Besetzungen mit Frauen auf der Kandidatenliste gab es ein wichtiges Argument der Gegenseite: „Die ist noch nicht soweit“. Und da war vielfach etwas dran. Viele Führungsbiografien von jungen Frauen beginnen sehr vielversprechend. Bessere Noten als die Männer, viel Disziplin, Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Und dann kommt meist ein Bruch, wenn eine Familienphase eintritt. Gerade dann (mit Anfang Dreißig), wenn die ersten Kinder kommen. Die männlichen Biografien machen genau in dieser Phase meist sehr wichtige Erfahrungen als Teamleiter in Projektleiterrollen etc. Frauen steigen in Teilzeit – vielfach unter Wert – wieder ins Berufsleben ein und holen diesen Rückstand nie wieder auf. Nur wenige Frauen haben eine Betreuungssituation, die sie gleichstellt mit dem Gros der männlichen Kollegen – inkl. Reisebereitschaft. Sollen wir warten, bis sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Familienrollen egalisiert haben? Die Corona-Krise hat gezeigt, dass das eine Utopie ist. Wir machen gerade Rückschritte in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit in der Betreuung der Kinder.
Führungstandems als entscheidender Hebel
Es gibt eine sehr effektive Maßnahme für junge Frauen, den Weg in eine Führungsbiografie zu ebnen, der niederschwellig ist und deren biografischer Situation entspricht: Die Teilung für Führungsrollen und Zulassung von Führungstandems. Eine Reihe von Organisationen haben bereits langjährige positive Erfahrungen mit so einem personalpolitischen Modell gemacht. Es kann bei richtiger Einführung das entscheidende Instrument sein, um Frauen den Einstieg in eine Führungsrolle zu erleichtern und vor allem, um Frauen in Erziehungsrollen in Führungsrollen zu halten.
Dazu braucht es Folgendes:
- Führungsrollen müssen grundsätzlich wie andere qualifizierte Aufgaben teilbar sein – oder benötigen eine Begründung und Genehmigung, warum das nicht so ist
- Die Doppelbewerbung von Kandidat*Innen wird ausdrücklich gefördert
- Die Kandidat*Innen bekommen ausführliche professionelle Vorbereitung und Begleitung
Das ermöglicht es nicht nur Frauen, sich mal in einer ersten Führungsrolle zu versuchen. Was für viele junge Frauen eine Einstiegsbarriere darstellt – weil es nicht genügend weibliche Rollenvorbilder gibt.
Hier bietet ein Tandem viele Möglichkeiten. Auch für den/die Arbeitgeber/in gibt es enorme Vorteile – hier nur einige genannt:
- Es entwickelt sich ‚doppeltes‘ Führungspotenzial
- Leistungsspitzen lassen sich von 2 Personen leichter abfedern als von einer Person
- Erreichbarkeit bei Urlauben und Krankheiten
- Führungsspannen lassen sich größer und flexibler handhaben
- Moderner (flache) Führungskulturen und agile, rollenflexible Organisationsformate eignen sich besonders
- Es entspricht nicht nur Frauen, sondern auch dem Lebensmodell vieler Generation Y Mitarbeiter*innen (unabhängig vom Geschlecht)
- Eine Führungstandem ermöglicht gleichzeitig älteren Führungskräften ein attraktives Ausstiegsmodell und ein solches Tandem ist eine grandiose Lernmöglichkeit
- In einer VUCA-Welt stellt ein Tandem eine Ressource dar, immer steigende Komplexität und Dynamik abzufedern
- Wir brauchen kreative Köpfe auch partiell in Führungsrollen und als individuelle Beitragende. Warum also nicht ein Rollensplit bei einer Vollzeitbeschäftigung?
Solche Führungstandems entsprechen erfahrungsgemäß eher dem Kooperations- und Konfliktverhalten von Frauen als dem von Männern. Aber sie sollten explizit auch Männern vorbehalten sein und diese genauso gefördert werden.
Eine Aufgabe für Politik und Personalarbeit
Hier öffnet sich ein weites Feld für zukünftige beratende und betreuende Personalarbeit:
- Wie finden sich solche passenden Führungstandems in Organisation (und Projekten)
- Wie unterstützt man strukturell aber auch individuell willige Führungskräfte?
- Wie erkennt und löst man Konflikte?
- Wie supervidiert, beschult man solche Tandems?
- Wie entdeckt man seinen Führungsstil in Kooperation mit einem Partner?
- Wie nutzt man kollegiale Beratung?
- Wie lernen Führungskräfte in Führungstandems, diese richtig zu führen?
- Welche betrieblichen Rahmenbedingungen brauchen solche Führungstandems?
Für alle Zweifelnden, die geteilte Führung für einen Widerspruch in sich halten – es gibt unzählige Beispiele auch in langjähriger Praxis:
Partnerschaften in Unternehmensberatungen, ärztliche Praxisgemeinschaften oder Gemeinschaftskanzleien sind – im Übrigen bevorzugt von Frauen – langjährig erprobte Tandem-Modelle, von denen sich die betriebliche Führungsarbeit eine Menge abschauen kann. Die Stadt München hat schon vor Jahren solche Modelle erfolgreich eingeführt – meine Frau hat davon profitiert, viele Jahre ein solches Tandemmodell gelebt und dabei trotz drei Kindern eine Führungskarriere erhalten. Es gibt Start-ups, die sich mit der Begleitung solcher Modelle professionell beschäftigen (www.tandemploy.de).
Und wir begleiten natürlich bei Breitenstein seit Jahren Führungstandems in unterschiedlichen Konstellationen mithilfe von Coachings, Workshops etc. und sind ganz nebenbei selbst ein solches gemeinsam führendes (männliches) Führungstandem bei Breitenstein.
Führungstandems sind eine zeitgemäße Form von Organisationskultur- und Talententwicklung. Neben einer Geschlechterquote brauchen wir hier die passenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und vor allem eine abgestimmt betriebliche Personalarbeit und tariflich gestützte Beschäftigungsbedingungen. Führungstandems zu pflegen ist eine sehr geeignetes Entwicklungsinstrument zur Unterstützung von Gender-Quotenverpflichtungen.