Der Begriff „Zeitenwende“ ist geklaut – genauso wie der Slogan einer Kosmetikfirma aus den 80er-Jahren. Aber er ist nicht zu groß gegriffen für die Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten, die wir gerade vor uns haben. Und die Zeitenwende erfordert einen Strategiewechsel in der Personalarbeit – und darüber hinaus in der People-Strategie jedes Unternehmens.
Ich habe viele Jahre in großen Unternehmen Mitarbeiter:innenkommunikation (Ziel: Kulturwandel per interner Medien) und Employer Branding betrieben. Beides waren Kommunikationsfunktionen, die der „kleine Bruder“ der „großen“ Unternehmenskommunikation waren: Marketing, PR, Werbung, Brand-Kommunikation. Dort lagen die großen Budgets, dort wurden die Strategien entwickelt. Employer Branding war ein Beschaffungsmarkt, Mitarbeiter:innenkommunikation führte im besten Fall einen Dialog mit den Mitarbeitenden und erklärte Personalinstrumente. Oder sie betrieb ‚Hofberichterstattung‘.
Die Zeitenwende, die wir erleben, ist schlicht der Fachkräftemangel.
Dieser resultiert aus der demografischen Entwicklung: Die nächste Generation ist fast nur halb so groß wie die Boomer-Generation. Nicht nur Kitas, Pflegeheime und Bäckereien haben mit einem Mangel an Mitarbeiter:innen zu kämpfen – sondern alle Organisationen.
Der Nebeneffekt: Die Jungen können sich die Jobs aussuchen und tun das nach neuen (ihren eigenen) Kriterien. Passt das Arbeitsumfeld? Wie sind die Entfaltungsmöglichkeiten? Kann ich mitgestalten? Werde ich gefördert? Kann ich mich mit dem Produkt identifizieren? Stimmt die Unternehmenskultur? Passt alles zu meinen Werten, meinem Lebensmodell? Stimmt der Purpose?
Und dank der Digitalisierung haben sie die Möglichkeit, das vorher herauszufinden oder schnell den Arbeitgeber zu wechseln. Die Generation Y/Z hat ein Gefühl für „Stimmigkeit“ und weniger Leidensbereitschaft. Eine Arbeitgebermarke mit kommunikativen Instrumenten zu erschaffen, die nicht der Unternehmensrealität entspricht, funktioniert einfach nicht mehr.
Was gefragt ist, ist eine authentische „Employee Experience“, die ganzheitlich und nachhaltig ist – sprich: Die Unternehmenskultur wird explizit zum „Kaufargument“. Als Change Manager:innen wissen wir, dass sich Unternehmenskultur nicht kurzfristig mit ein paar Maßnahmen „erzeugen“ lässt. Wer das verspricht, ist unseriös. Die Unternehmenskultur muss zur Branche und zum Produkt passen und sich trotzdem als etwas Besonderes vom Wettbewerb abheben. Sinnhaftigkeit (Purpose) darf nicht „herbeikonstruiert“ sein, sondern muss authentisch sein – oder man lässt es und fokussiert sich auf andere Arbeitgeberaspekte. Wenn spezielle Zielgruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund oder Fachkräfte aus dem Ausland hinzukommen, muss sich der gesamte Werkzeugkasten der Arbeitgeberattraktivität auch explizit an diese Zielgruppen richten.
Das Markenimage muss dieses Profil mittragen und verstärken. Werte müssen explizit gelebt werden – und die Unternehmensindividualität zum Ausdruck bringen. Und das hat Facetten, die nichts mit Kommunikation zu tun haben: Organisation, Prozesse, Beschäftigungsbedingungen, Führung, Haltung, Geschichte und Identität.
Unternehmenskultur wird auch durch die (flache?) Organisation und die (einfachen?) Prozesse geprägt. Die Führungskultur muss diese Werte und Strukturen tragen und fördern. Gen Y & Z brauchen viel Aufmerksamkeit in der Führung – aber gleichzeitig viel Freiraum. Und die Beschäftigungsbedingungen (Rollenbeschreibungen, Arbeitsplatzgestaltung, Comp-&-Ben-Modelle) müssen diese Unternehmenskultur ermöglichen. Auch hier ist Konsistenz gefragt.
What you see is what you get!
Ein Employer Branding, das auf solchen Strukturen und Kulturelementen aufbaut, wird in Zukunft erfolgreich sein – und nicht nur die richtigen Mitarbeiter:innen anziehen, sondern sie auch halten können. Eine Markenidentität, die Stimmigkeit zwischen Produkt, Unternehmen, Kultur, Werten und Geschäftsmodell herstellt, wird als ganzheitlich und nachhaltig wahrgenommen. Voraussetzung dafür sind entsprechende Budgets, Ressourcen – aber vor allem das Bewusstsein der Unternehmensführung für die Bedeutung interner Faktoren für den Unternehmenserfolg.
Das heißt ganz praktisch:
- Employer-Branding-Kommunikation wird neben dem Kund:innenmarketing wichtiger – beides muss sich integrieren.
- Kommunikationsprofis müssen mit anderen Transformations-Professionen wie Organisationsentwicklung oder HR/People & Organisation eng zusammenarbeiten.