Der Begriff „Target Operating Model“ (TOM) ist derzeit in aller Munde — vor allem in den HR-Abteilungen großer Konzerne. Die Diskussion wird dabei meist aus Konzernsicht geführt. Doch was bedeutet dieses Konzept eigentlich für den industriellen Mittelstand? Ist es dort überhaupt sinnvoll anwendbar? Eine kritische Betrachtung aus der Praxis zeigt: Es kommt darauf an.
Was bedeutet Target Operating Model eigentlich?
Zunächst müssen wir genauer hinschauen, denn der Begriff „Target Operating Model“ wird mehrdeutig verwendet. Im Wesentlichen haben sich zwei dominante Interpretationen herauskristallisiert, die von unterschiedlichen Denkschulen geprägt wurden.
Die erste Interpretation sieht TOM als methodischen Ansatz, der eine systematische Verbindung zwischen Geschäftsstrategie und operativen Prozessen herstellen soll. Dieser Ansatz ist stark durch die Digitalisierungsperspektive getrieben. Im Zentrum steht dabei zunächst die saubere Darstellung aller HR-Prozesse. Auf dieser Basis werden dann Automatisierungspotenziale identifiziert — sei es durch klassische Digitalisierung oder durch den Einsatz künstlicher Intelligenz. Erst im nächsten Schritt entwickelt man daraus einen idealtypischen Organisations-Blueprint. Am Ende steht die Definition klar bepreisbarer HR-Produkte, die dem Business angeboten werden können.
Die zweite Interpretation, die vor allem von großen Beratungshäusern geprägt wurde, versteht TOM als idealisiertes Organisationsmodell. Hier geht es um ein konsequentes Dienstleistungsverständnis von Funktionen wie HR. Die Organisation wird dabei budgetgetrieben gesteuert — sei es als Cost-Center oder sogar als profitorientierte Einheit. Oft mündet dies in der Gründung einer eigenen Legal Entity, die über Service Level Agreements mit dem Unternehmen verbunden ist. Marktvergleiche und Benchmarking spielen dabei eine zentrale Rolle.
Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie das unternehmerische Denken in der HR-Funktion stärken wollen. Sie unterscheiden sich aber fundamental in ihrer Herangehensweise und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Organisation.
Die Mittelstandsperspektive – eine andere Realität
Wenn wir diese konzerngeprägten Modelle auf den Mittelstand übertragen wollen, stoßen wir schnell auf charakteristische Herausforderungen. Anders als in Konzernen verfügen viele mittelständische Unternehmen — gerade als Zulieferer — nicht über eine vollständig autonome Strategieentwicklung. Sie sind oft abhängig von den strategischen Entscheidungen ihrer großen Kunden.
Hinzu kommt die Ressourcenfrage: Die digitale Transformation, die ein wesentlicher Treiber des TOM-Gedankens ist, erfordert erhebliche Investitionen. Diese Mittel stehen im Mittelstand oft nur begrenzt zur Verfügung.
Auch die strukturellen Besonderheiten des Mittelstands spielen eine wichtige Rolle. Häufig sind die Organisationen eher unterbesetzt und die Mitarbeiter entsprechend überlastet. Die im Konzern übliche starke Arbeitsteilung gibt es hier nicht — gefragt sind HR-Generalisten statt Spezialisten. Viele Strukturen sind historisch gewachsen und Tochtergesellschaften nur teilweise integriert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die digitale Fragmentierung: Wo Konzerne auf große, integrierte Software-Suites setzen können, findet man im Mittelstand häufig „Best of Breed“-Ansätze. Das heißt, verschiedene Speziallösungen werden nebeneinander eingesetzt, was die durchgängige Prozessautomatisierung erschwert.
Eine differenzierte Empfehlung
Bedeutet dies nun, dass das Target Operating Model für den Mittelstand ungeeignet ist? Keineswegs. Aber es braucht eine differenzierte Betrachtung und vor allem eine an den Mittelstand angepasste Implementierungsstrategie.
Als Denkmodell bietet der methodische TOM-Ansatz auch für den industriellen Mittelstand wichtige Chancen. Er eignet sich hervorragend zur strukturierten Planung der Digitalisierung und zur strategischen Ausrichtung der HR-Funktion. Auch die Darstellung des Wertbeitrags einzelner HR-Leistungen gewinnt dadurch an Klarheit.
Entscheidend ist jedoch der Reifegrad der Organisation. Bevor ein Target Operating Model implementiert werden kann, müssen oft erst grundlegendere Aufgaben bewältigt werden. Dazu gehören eine fundierte strategische Personalplanung, klare Prozessbeschreibungen und definierte Rollenbeschreibungen. Auch grundlegende „Landkarten“ der Organisation müssen vorhanden sein.
Fazit: Evolution statt Revolution
Der Weg zu einem Target Operating Model im Mittelstand sollte evolutionär verlaufen, nicht revolutionär. Das Konzept kann dabei als strategischer Kompass dienen, aber die Implementierung muss sich am Reifegrad und den spezifischen Bedingungen der Organisation orientieren.
Die eigentliche Kunst liegt darin, die für die eigene Organisation passenden Elemente des Target Operating Models zu identifizieren und diese schrittweise, aber konsequent umzusetzen. Nur so kann der Mittelstand von den Vorteilen des Konzepts profitieren, ohne sich in überkomplexen Transformationsprojekten zu verlieren.
Es gilt also, einen pragmatischen Mittelweg zu finden: Das Target Operating Model als Orientierungsrahmen zu nutzen, ohne sich in der Komplexität konzerngetriebener Ansätze zu verfangen. Dabei muss jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden, der zu seiner Größe, seinem Reifegrad und seinen spezifischen Herausforderungen passt.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Target Operation Model? Ich freue mich auf Ihre Kommentare und den Austausch zu diesem Thema.