Immer wenn wir mit Menschen zusammenkommen, machen wir uns unbewusst ein Bild davon ‚wie‘ jemand ist und wie er/sie agieren wird. Wir machen also Diagnostik. Und in fast jedem professionellen People-Prozess in Unternehmen ist Diagnostik irgendwie die Grundlage. Und wenn Strategien scheitern, liegt es oft am menschlichen Verhalten.

Die wenigsten Unternehmen beschäftigen sich jedoch professionell mit Diagnostik – dabei ist das gar nicht so schwer.

Sehr viele Instrumente …

Was es etwas schwieriger macht, ist die Vielzahl von Diagnostikinstrumenten auf dem Markt einzuordnen. Neben den Freikäuflichen, kommen auch noch Eigenentwicklungen der großen Beratungen dazu.

Wie praktikabel sind diese Instrumente?

Und ist nicht die Persönlichkeit eines Menschen viel zu komplex, um sie in ein paar wenigen Dimensionen zu beschreiben? Stecken wir uns damit nicht in Schubladen und schadet das nicht?
Ich habe mit einer Vielzahl von Instrumenten Erfahrungen gemacht und halte viele für legitim, wenn sie sauber eingeführt (deren Grenzen aufzeigt!) und sie nicht allzu ernst genommen werden, sondern als Sprache genutzt werden, um sich im Unternehmen über Persönlichkeit zu unterhalten. Mehr nicht.

… kurz zusammengefasst:

 Hogan Assessments ist eine Batterie von ‚harten‘ Persönlichkeitsdiagnostikinstrumenten. Sie beruhen im Kern auf dem Big5 Modell – das allgemein das einzige wirklich in der Psychologie anerkannte Modell ist. Der Hogan-Test ist wie das große Blutbild, er ist teuer und braucht immer eine:n zertifizierte:n Experte:innen, der die Ergebnisse erläutert. Dann ist er aber so aussagekräftig, wie kaum ein anderes Instrument bei der Prognose von Verhalten im Job. Nicht umsonst nutzen fast alle großen Headhunter Hogan Assessments.

Für Führungsstilanalysen eignen sich weitere ebenfalls wissenschaftlich evidente Instrumente, wie Zenger Folkman’s Leadership Competencies oder der Leadership Circle. Ähnlich arbeiten die meisten Instrumente der großen Searchfirms.

 DISCinsights, HBDI®, MBTI® sind Kontingenzmodelle, die auf theoretischen Annahmen über Persönlichkeit beruhen und es schaffen, Persönlichkeit auf wenige Dimensionen zu reduzieren. Die wissenschaftliche Basis ist etwas dünner als bei den Big5 – aber ich halte diese Instrumente zumindest für evident genug, um sie in der Praxis mit Einschränkungen anzuwenden – als Sprache und um zumindest zu erkennen, dass Menschen unterschiedlich sind. So sollten sie auch eingeführt werden.

Eine gewisse Besonderheit stellt der Predictive Index (PI) dar: Ein sehr einfach anzuwendendes Tool, das mit einem nur 6-minütigen Test, überraschend klare Ergebnisse liefert. Das Modell verstehen auch Nicht-Fachleute in wenigen Stunden Training und können anschließend damit arbeiten. Der PI bietet deshalb auch ein Portfolio von Instrumenten an, wie etwa Stellenprofile, basierend auf dem PI.

 

Die Brücke zur Kultur

Meist hat es Sinn, neben den individuellen Verhaltenspräferenzen, auch einen Blick auf die Kultur einer Organisation zu werfen: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wo müssen wir uns verändern? Wer passt zu uns? Hier spielen Motive und Werte eine wichtige Rolle. Der Hogan hat einen solchen Test zu individuellen Werten und Motiven mit eingebaut. Es gibt aber auch zwei weitere Modelle, auf die ich explizit hinweisen möchte:

Das Reiss Profile® und der 9Levels-Test.

Auch hier liegen Modelle von Lebensmotiven (Reiss) oder Reifegraden der Werteentwicklung (9Levels) zugrunde. Solche Präferenzen etwa im Coaching zu erkennen und vielleicht in einem Team zu diskutieren, kann sehr hilfreich sein. Der 9Levels lässt sich aber auch für Teams und ganze Organisationen anwenden und ermöglicht damit Maßnahmen für Kulturentwicklung abzuleiten. Große Beratungen nutzen dafür oft eigene Verfahren. SpencerStuart wendet beispielsweise ein integriertes Instrument an, das die Persönlichkeit und Werte/Kultur eines Kandidaten und einer Organisation in Beziehung setzt.

 

Maßgeschneiderte Kompetenzmodelle:

Um zu analysieren und zu verstehen sind Persönlichkeitsmodelle und Tests sinnvoll und wichtig.

Um langfristige Transformationen jedoch zu begründen oder eine systematische Personalentwicklung darauf aufzubauen, springen sie zu kurz.

Hier gibt es einen anderen diagnostischen Weg:
Braucht man eine echte Grundlage für Recruiting, um die richtigen Kandida:tinnen anzusprechen und zu selektieren, um Entwicklungs- und Trainingspläne zu erstellen oder um eine Transformation anzuschieben, ist ein einfaches psychologisches ‚Kontingenzmodell‘ nicht ausreichend. Es hat dann Sinn, ein maßgeschneidertes Kompetenzmodell für das Unternehmen zu entwickeln. Dabei können Persönlichkeitsdimensionen, Werte oder Motive und Kultur auch eine Rolle spielen. Soll ein Persönlichkeitsmodell den Kernkompetenzen je Stelle zugrunde gelegt werden, ist eine fachliche Beratung erforderlich. Denn bei der Entwicklung eines Kompetenzmodells handelt es sich um ein Projekt, bei dem auch fachliche Kompetenzen unter Berücksichtigung der jeweiligen Unternehmensstrategie, Vision, Leitbild, Mission und Werte, in wenige, skalierbare und verständliche Kategorien eingeordnet/gruppiert werden. Genau deshalb kann ein Kompetenzmodell auch kaum standardisiert werden – denn jedes Unternehmen ist anders.

Wurde so ein firmenspezifisches Kompetenzmodell entwickelt, kann es sich über die Zeit zur ‚Sprache‘ im Unternehmen entwickeln, wenn Feedback gegeben oder über Leistung oder Potenziale mit Mitarbeiter:innen gesprochen wird. Auch kann das Kompetenzmodell in eine kulturelle Richtung weisen und den Weg ebnen zu mehr Agilität oder mehr Selbstorganisation.

 

Kompetenzbasierte Personalarbeit

Ein gut gemachtes Kompetenzmodell kann auch für die Nachfolgeplanung oder Trainingsplanung verwendet werden. Zugleich kann es sogar die Grundlage für ein sehr modernes Stellenbewertungs- oder Compensation & Benefit-System sein.

Gemeinsam mit der Comp&Ben-Beratung Lurse haben wir dazu ein paar sehr innovative Konzepte entwickelt.

Basierend auf Kompetenzmodellen haben wir ebenfalls maßgeschneiderte Interviewtrainings für Führungskräfte (und Teams) entwickelt und durchgeführt. Meiner Ansicht nach hat es die größte Wirkung, wenn bereits bei der Auswahl der neuen Mitarbeiter:innen auf die richtigen Kompetenzen geachtet wird – und dazu gehört ganz besonders auch die Persönlichkeit, Werte und Motive (‚mindset‘) der Bewerber:innen. Ein gut eingespieltes Interviewer-Team mit Kompetenzmodellen zur Evaluation, schlägt meiner Erfahrung nach jeden Persönlichkeitstest!

 

Audits – maßgeschneidert

Neben Transformationsprojekten sind übrigens gerade Firmenzusammenschlüsse ein wichtiges wegweisendes Ereignis, für das Diagnostik außerordentlich nützlich sein kann. Diese Audits machen meist Searchfirms mit ihren eigenen Instrumenten. Hier ein Kompetenzmodell einzusetzen, dass die neue eigene Strategie abbildet, um zu sehen welche Mitarbeiter:innen das Neue mitgestalten können, wird meines Erachtens oft sträflich unterschätzt. Culture eats Strategy. Wir haben ein paar sehr positive Beispiele, wie es besser (und billiger) mit gezieltem Einsatz validierter Tests gemacht werden kann.

Abschließend will ich Ihnen noch mitgeben, dass Diagnostik richtig angewendet nicht weh tut, sondern die meisten Menschen es lieben ‚erkannt‘ zu werden und andere Menschen differenzierter zu ‚sehen‘. Ob Kompetenzmodell oder Persönlichkeitstest – meiner Erfahrung nach haben solche Projekte immer einen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit, Feedback-Kultur und Spaß an der Arbeit.

Wir bei Breitenstein sind Experten für Diagnostik und helfen auch Ihnen gerne.

 

Alexander Gisdakis

CEO und Partner Breitenstein Consulting