Donald Trump, Xi Jingping, Vladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Victor Orban, aber auch Macron kurz, Söder: Die letzten Jahre machen den Eindruck, als entwickeln wir uns zurück ins Zeitalter der autoritären Alphatiere – zumindest in politischen Führungsfunktionen. Breite Massen wählen oder unterstützen sie.

Erleben wir einen allgemeinen Trend in Richtung Autoritarismus?

Bei genauem Hinschauen scheint mir das nicht der Fall zu sein – im Gegenteil – in weiten Teilen von Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt sich ein neues ganz anderes Führungsparadigma. Es sprechen starke Argumente dafür das politische Führung ein echter Sonderfall ist:

Die Führungsforschung kannte die ‚Great Man Theory‘ (so hieß sie wirklich!) noch als führendes Paradigma bis in die 30 Jahre des letzten Jahrhunderts. Nach Kurt Lewin, Max Weber über die Human Relations Bewegung der 60er Jahre (auch eine Reaktion auf die Katastrophe des Autoritarismus in Deutschland) wird auch das wissenschaftliche Ideal von Führung differenzierter, demokratischer, moderierender. ‚Neue‘ Führungskräfte setzen Teams Rahmen, vereinbaren Ziele, coachen, entwickeln Talente. Sie müssen dazu sehr selbstreflektiert sein, anderen Raum geben und Konflikte moderieren können. Sie suchen nicht mehr die große Bühne, sie wirken durch sachlich gut begründete Entscheidungen, Werte und Haltungen, die sie vorleben. Und Führung wird (damit) weiblicher.

Matrixartige Strukturen, multikulturell geprägten Organisationen und vor allem zunehmen komplexe und unüberschaubaren Geschäftssituationen lassen Führungseigenschaften, wie Werteorientierung, systemisch-ganzheitliches Denken, Förderung von Flexibilität, Partizipation und Motivation in den Vordergrund treten. Dazu brauchen Führungskräfte neben Führungswille, Entscheidungskompetenz und ein wenig Charisma, auch Empathie, Werte und Haltungen, und auch Selbstreflektion und Achtsamkeit. Die Führungskraft als Dienstleister ihrer Mitarbeiter.

Führungskräfte müssen unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Situationen beherrschen – mal Entscheider, mal Teamplayer, mal Berater. Und trotzdem müssen sie dabei nahbar und authentisch sein. Der ‚Great Man‘ dagegen brauchte Distanz, um groß zu wirken – wie der Scheinriese bei Jim Knopf. Sich selbst zu hinterfragen oder sich als Person analysieren zu lassen, differenziert – auch mal selbst schwach – wahrnehmen funktioniert da nicht. Darüber ist Willy Brand noch gefallen. Für neue Generationen von jungen Führungskräften ist das Eingangsvoraussetzung.

Es gibt in den letzten Jahren eine ganze Fülle neuer Ansätze und Führungsmodelle, die alle in diese Richtung verweisen und vielfach aus dem Silicon Valley stammen: Management Methoden, wie Agile/ Scrum oder Design Thinking, entwickeln eigene Führungstheorien. Fred Kiehl forscht und spricht vom ‚Return on Character‘ und hebt Eigenschaften, wie ‚compassion‘, ‚forgiveness‘ oder ‚integrity‘ als wichtigste Führungseigenschaften auf die Agenda. Es gibt eine Fülle weiterer solcher Beispiele.

Die Grundannahme dahinter ist immer sehr ähnlich: in komplexen, dynamischen Umfeldern braucht es flexible, motivierte und dezentral entscheidungsfähige Mitarbeiter. Dafür muss Führung den Raum schaffen und sich selbst zurückhalten können. Ein neues Führungsideal! Alte autoritäre ‚Haudegen‘ der deutschen Wirtschaft, wie Martin Winterkorn, werden dagegen geradezu vom Hof gejagt und der alte autoritäre Geist wird mit Culture Change Programmen möglichst wirkungsvoll aus der Organisation geblasen.

Ist das alles ein Widerspruch zu den offensichtlich autoritären Tendenzen in der Politik? Nicht unbedingt!

Es spricht einiges dafür, dass die Sphäre der Politik eine ganz besondere Führungssituation darstellt: Politiker müssen, anders als andere Führungskräfte, indirekter führen. Sie müssen sich in einem medialen Raum bewegen. Sie müssen ihren Organisationen ein unverwechselbares Profil geben. Sie müssen Auf-merksamkeit erzeugen. In einem Medienmarkt, der Zuspitzung und dem menschlichen Drama mehr Raum lässt als einem komplexen sachlich verhandelten Kompromiss, müssen sie sich (und ihrer Organisation) Gehör verschaffen. Medienpräsenz durch Polarisierung und Profil gewinnen durch abgrenzen.

Das ist in Unternehmen so nur sehr selten der Fall. Und dazu kommt noch ein weiterer, wichtiger Umstand: Die sich wandelnden fortschrittlichen Industrien haben meist sehr gut ausgebildete, urban und global geprägte, gutverdienende Mitarbeiter. Es sind noch die Gewinner der 3. Industriellen Revolution. Wie ein selbstbewusstes Bürgertum in der Renaissance, das sich den autoritären Haltungen der Aristokraten entgegengestemmt hat und Autonomie und Mitbestimmung gefordert hat, macht das jetzt ein breites post-industriegesellschaftliches ‚Bürgertum‘.

Die Wähler zumindest von Trump und Co. dagegen sind meist die ländliche ‚Verlierer-Gesellschaft‘ und Genration. Sie trifft da ein konservatives überdauertes Wertebild, definiert sich meist durch national-kulturelles Nostalgiegefühl. Das ‚Zurückdrehen‘ von post-modernen Entwicklungen ist ja gerade ein expliziter Anspruch, weswegen autoritäre Populisten gewählt werden. Chauvinismus, traditionelle Rollen und Familienbilder etc. werden systematisch ‚bespielt‘. Übrigens im traditionellen ‚links-konservativen‘ Ruhrgebiet genauso, wie im katholischen ländlichen Bayern oder Ungarn oder Griechenland.

Autoritarismus ist also eine Retro-Bewegung! Da, wo sie noch auf tayloristisch geprägte Strukturen und konservative Werte trifft, hat sie noch ihre Unterstützer. Aber diese verschwinden kontinuierlich, und zwar weltweit – spätestens aber mit der 4. Industriellen Revolution: Wenn künstliche Intelligenz nämlich diese Aufgaben wegfrisst. Ich sehe nun drei große Gefahren des ‚Neuen Autoritarismus‘ in Teilen der Politik:

  1. Wenn zu schnell eine immer weitere ökonomische Spaltung der Gesellschaft erfolgt, und sich damit ein großes unzufriedenes ‚Verliererpotenzial‘ aufbaut, wie im deindustrialisierten Mittleren Weste der USA.
  2. Autoritäre Führung hat nur in einigen wenigen Führungssituationen klare Vorteile: Wenn es darum geht, eine Gruppe schnell hochemotionalisiert auf ein Ziel zu fokussieren – das sind meist Krisensituationen, in denen sich Menschen blind ins Vertrauen begeben (etwa Katastrophen) – oder eben kriegerische Auseinandersetzungen. Autoritäre Führer steuern Organisationen genau in solche Situationen, um sich selbst ihres Führungsstils zu rechtfertigen. Das muss man unterlaufen.
  3. Autoritarismus kann sich langfristig nur etablieren, wenn er sich der freien Medien bemächtigt. Das sieht man zum Beispiel in Ungarn. Wenn autoritäre Führer sich beliebig unhinterfragt selbst in Massenmedien inszenieren, können sie mediale Parallelwelten erzeugen – wie in Ungarn oder der Türkei.

Deshalb kommen den Medien hier eine ähnlich klärende Funktion zu, wie den vielen Führungskräften in Unternehmen: Sie müssen komplexe Probleme angemessen vereinfachen, Kompromisse moderieren und als etwas Positives herausheben, Konflikte mediieren, Pluralität und Diversität Raum geben, und: autoritäre Persönlichkeiten analysieren und hinterfragen. Auch Unternehmen müssen selbst diverser werden und eine Führungsmannschaft muss die eigene Belegschaft nach Geschlecht, Herkunft wirklich repräsentieren.

 

Alexander Gisdakis

Podcast des BR mit Alexander Gisdakis vom 20.01.19