MYTHOS CULTURE CHANGE
Kann man Kultur wirklich managen?

‚Culture eats strategy for breakfast‘ sagte mal Peter Drucker. Deshalb gilt Culture Change vielfach als Königsdisziplin im Change-Management. Strategien, Organisationen, Prozesse oder Regeln lassen sich relativ einfach auf Papier entwickeln und verändern. Aber verhalten sich Menschen und Organisationen danach wie gewünscht?
Wissenschaft und die Beraterbranche entwickeln deshalb ständig neue Modelle, um Kultur immer wieder anders zu erfassen und es entstehen regelrechte Beratungstrends, die jeweils den Stein des Weisen versprechen. Ist das alles Voodoo – oder was davon funktioniert wirklich?
Und: Was ist überhaupt Kultur in einer Organisation? Wie lässt sie sich tatsächlich gezielt verändern? Und was kann externe Beratung dabei leisten?

 

Kultur ist die Musik, zu der alle in der Organisation tanzen, auch wenn sie keiner hört (Bernd Schmidt)

Kultur ist ein schillernder Begriff, denn jede Wissenschaft, die sich damit befasst hat, ihre eigene Definition für Kultur. Es gibt kulturelle Artefakte, die man sehen kann wie der Empfangsbereich eines stolzen mittelständischen Betriebes mit Porträt des Firmengründers. Oder der der freundlich professionelle Auftritt der Servicemitarbeiterin. Und es gibt weniger sichtbare Kulturelemente wie gelebte Werthaltungen und Normen, nach denen sich die Menschen in der Organisatin verhalten. Und es sind die tief wurzelnden Überzeugungen und Glaubenssätze, die den Großteil der Menschen in einer Organisation einen und die ihnen Identität stiften. In diese drei Ebenen hat Edgar Schein das Phänomen der Kultur mal sehr zutreffendsten aufgeteilt: sichtbare Artefakte wie Verhaltensweisen, Werte und Normen und tiefe gemeinsame Glaubenssätze.
Verändert man Strategien, Organisationen oder Prozesse, möchte man aber vor allem das Verhalten der Menschen an diese neuen Organisationen anpassen. Etwa sollen sich Mitarbeiter*Innen in der neuen flacheren Organisation offener, engagierter, selbstständiger ‚agiler‘ Kollaborativer oder kundenorientierter verhalten als zuvor in der ‚alten‘ Organisation. Es geht also im Wesentlichen darum neue Verhaltensnormen zu setzen.
Menschliche Verhalten wurzelt tief und Verhaltensmuster sind üblicherweise stabil. Sie wurzeln einerseits in der individuellen Persönlichkeit, den Motiven und Werten und Erfahrungen der Individuen – und werden andererseits von den Werten, den Glaubensätzen, Denkmustern, der Identität also Verhaltensnormen der Organisation in der wir uns bewegen geprägt.

Mögen hätte‘ ich schon wollen aber dürfen habe ich mich nicht getraut (Karl Valentin)

Kulturelle ‚tradierte‘ Verhaltensmuster und Verhaltensnormen reduzieren für uns Komplexität und sorgen für Harmonisierung. Wenn ich die kulturellen Muster einer Organisation mal verstanden habe, weiß ich wie ich mich verhalten muss, um dazu zu gehören. Und ich übernehme diese Muster um nicht immer wieder neu nachdenken zu müssen wie ich mich verhalten soll.
Solche Muster sparen Energie und Zeit. Das heißt jedoch, dass sowohl meine tief wurzelnden Persönlichkeitsfaktoren und Werthaltung als auch tradierte Verhaltensmuster meiner Organisation mein Verhalten stark stabilisieren. Diese beiden Kraftfelder könne eine enorme Haltewirkung entfalten und machen Veränderung schwierig. Wenn Menschen ihr Verhalten verändern sollen, müssen sie das Wollen und Können (persönliche Faktoren) als auch Sollen und Dürfen (organisatorische Faktoren).

 

Alles hängt mit Allem zusammen

Organisationen sind wie biologische Systeme komplexe Systeme in denen Vieles mit Vielem zusammen hängt. Im weiteren Sinne kann man so ein System Kultur nennen. In solchen Kulturen und mit diesen Kulturelementen befriedigen Menschen ihre Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung oder Entfaltung. Sie dienen zur Identitätsbildung, Selbstvergewisserung und Abgrenzung.
Kulturen und Kulturelemente lassen sich nicht technisch in Kategorien fassen oder an- und abschalten. Sie sind lebendige organische dynamische Gebilde und haben einen Selbsterhaltungstrieb. Auch deshalb sind sie erstmal stabil.
Kann man Kulturen zumindest messen oder klassifizieren?
Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten, um Kulturen zu messen und zumindest zu kategorisieren – einige wissenschaftlich entwickelt oder geprüft – andere sind eher auf evidente theoretische Modelle zurück zu führen. Je nach Ansatz messen sie Aspekte wie Persönlichkeitstypen, Werte und Normen, Motive, Emotionen, Verhaltenstendenzen, Führungsstile, Identitätsmuster, Selbstbilder, oder individuelle Veränderungsbereitschaft.
Diese Ansätze und Befragungsinstrumente (mit einigen arbeiten wir auch gerne), sind meist immer komplexe Polaritäten Profile, die dann zur besseren Darstellung auf zwei oder mehrere Dimensionen grafisch reduziert werden. Solche Dimensionen sind etwa Reifegrade, Risikobereitschaft, Offenheit, Außen-/Innenorientierung, oder die Kulturen werden bestimmten ‚Kulturtypen‘ zugeordnet.
Diese Modelle funktionieren demnach, indem sie das komplexe Phänomen Kultur in einigen seiner Facetten vereinfachen und damit behandelbar machen. Und sie zeigen grob Ansatzpunkte für Veränderung.

Dennoch: Befragungsinstrumente sind KEINE exakte Diagnose wie etwa ein MRT-Scan eines Körpers, der fast bis auf das letzte Molekül Transparenz schafft. Aber auch der MRT-Scan berücksichtigt eben keine hormonellen Regelkreise und versteht demnach nur einen einzelnen Aspekt.
Kulturmodelle sind eine Reduktion der Wirklichkeit, die einen Aspekt von Kultur wiedergeben. Sie geben eben NICHT die vielschichtige Dynamik und die kausalen Zusammenhänge von menschlichem Verhalten in einer Organisation wieder. Wie hat sich ein Kulturmuster entwickelt, mit welchen ‚harten‘ oder ‚weichen‘ Faktoren hängt das zusammen? Wo lägen deshalb die Barrieren oder Anreize für eine Veränderung?
Genau darum geht es im Change-Management – speziell beim Culture Change.

 

Culture Change ist empathische Hand- und Kopfarbeit!

Wenn man Organisationen verändern möchte muss man versuchen, die sichtbaren und unsichtbaren Wirkungszusammenhänge wirklich zu verstehen, um den Hebel an der richtigen Stelle anzusetzen. Dazu muss man den Menschen in der Organisation genau zuhören und die richtigen Fragen stellen. Und ein empathisches Gefühl dafür entwickeln, was hinter einem Verhalten steht. Man muss verstehen, wie das Zusammenwirken aus Organisationsstrukturen und Kulturelementen in der Vergangenheit die Organisation zu dem gemacht haben, was sie jetzt ist.
Dabei muss man auch eine wichtige Transferleistung erbringen: Zu analysieren, welche Kulturelemente im Sinne der Strategie funktional für die Zukunft der Organisation sind – und welche anderen Kulturelemente man in der Zukunft braucht.
Weil jedes Interagieren mit Menschen in der Organisation auch eine Intervention ist, gehört hier Respekt und Wertschätzung für das Vergangene dazu. Und trotzdem ein klarer Blick für das Dysfunktionale und die zukünftigen Herausforderungen gepaart mit einer lösungsorientierten Haltung dazu. Es geht um aufmerksames, subjektives Verstehen. Die Hauptqualifikation ist dabei, die richtigen Fragen zu stellen, die Perspektivwechsel ermöglichen. Das hört sich einfach an, erfordert aber die richtigen Fragetechniken und Erfahrung.
Bei all der instrumentalisierten Subjektivität möchte ich aber auch klarstellen, dass ein Beratungsprozess nichts Willkürliches, rein Subjektives bedeutet. Es ist dabei wichtig immer auch nach Evidenz zu suchen, nach plausibel erscheinenden Ursachen und Wirkungszusammenhängen. Wenn es Kategorien und Modelle benötigt, um Komplexität für den Kunden zu reduzieren, dann sollten diese Methoden evidenzbasiert sein. Also: Wenn Modelle, dann keine willkürlichen, sondern solche mit wissenschaftlichem Hintergrund.

 

Für den Kunden: Golden Nuggets, Fokuspunkte und Handlungsfelder

Es geht darum, im Beratungsprozess alle Antennen auszufahren, zu versuchen viele Aspekte der Kultur zu erfassen und auf sich wirken zu lassen, um sie im Zusammenhang zu verstehen. Dazu gibt es Hilfsmittel. Wir bedienen uns dabei gerne des Instrumentariums von Design Thinking.
Als Berater*in kann man bei einer solchen qualitativen Interviewführung wirklich ‚Golden Nuggets‘ finden! Tiefe Einsichten in Zusammenhänge, die dem Klienten oder der Klientin (meist eine Führungskraft) so nicht sichtbar sein können, weil diese/r ja meist Teil des Systems ist.
Solche überraschenden Einsichten reichen in einem Culture Change Projekt aber meist noch nicht aus. Was macht man jetzt mit diesen Erkenntnissen? Es ist nicht ausreichend die ganze Komplexität und die Zusammenhänge von Kultur und Struktur an eine Organisation bei den Klient*innen nur deskriptiv wieder abzuladen.
Ein/e Berater*in muss fokussieren und priorisieren können.
In einem Veränderungsprojekt muss der/die Berater*in diese Komplexität reduzieren (gemeinsam mit dem Klienten oder der Klientin) und konkrete Handlungsoptionen herausarbeiten. Das ist ein kreativer Akt, der die wichtigen und wirksamen Focus Themen und Veränderungshebel sichtbar macht.
Aber es gehört auch dazu, den Klient*innen die systemischen Zusammenhänge und Konsequenzen bei Bedienung dieses Hebels deutlich zu machen. Manchmal kann das das dazu führen, dass der Wunsch nach Veränderung wieder relativiert wird.

 

 Wenn das die Lösung ist will ich mein Problem zurück!

Organisationskulturen haben wie biologische Systeme eine gewisse Stabilität und Veränderungsresistenz. Das liegt nicht nur an der Trägheit oder tradiertem Verhalten. Vieles hängt mit Vielem Zusammen und Kulturelemente stabilisieren sich gegenseitig.
Bei menschlichen Organisationen ist das sogar noch komplexer – dann Menschen haben im Gegensatz zu einem Wald ein Bewusstsein und durchschauen Strategien und hinterfragen diese. Denn Veränderungen bergen in den meisten Fällen auch Risiken oder Kosten für das Individuum. Change Management per Tool oder Checkliste (oder neuerdings per Canvas) sind oft zu trivial gedacht. Beispiel: Veränderungen erzeugen oft Dilemmata. Etwa wenn man den kulturellen Kern (zum Beispiel das ‚familiäre‘ kulturelle Element eines Unternehmens erhalten will, aber Konzernstrukturen einführen will. Diese Dilemmata muss man auflösen oder zumindest ansprechen, damit Veränderung funktionieren kann.

 

Nachhaltige Veränderungsinstrumente

Es gibt eine Reihe von generischen Veränderungshebeln, die dem systemischen Charakter von Kulturen entsprechen und die vor allem auch wirksam sind:

  • Führung und Vertrauen – Investition in Glaubwürdigkeit und gemeinsame Ausrichtung der Führungsteams
  • Aufmerksamkeit und Betroffenheit (‚sense of urgency‘) kann man herstellen. Hier braucht es oftmals einen lauten Knalleffekt am Anfang, damit die notwendige Aufmerksamkeit entsteht.
  • Eine klare bildhafte Vision der Zukunft kommunizieren, die attraktiv ist
  • Eine glaubhafte Storyline entwickeln (wo kommen wir her was ist die Bedrohung, wo müssen wir deshalb hin und wie kommen wir dort hin?),
  • Wirksame Narrative, die jeden miteinbeziehen und bei ihren Bedürfnissen und Gefühlen abholen
  • Harte Kontexte verändern, indem man organisatorische oder Prozessbarrieren beseitigt (dazu muss man sie kennen)
  • Gezielt Anreize schaffen – und damit meine ich nicht nur Geld!)
  • Symbolisch Verhaltensnormen setzen und damit alte wirksam ablösen. Das kann auch mal bedeuten eine Führungsfunktion zu ersetzen.
  • Dilemmata, Widersprüche und Rückschläge ansprechen
  • Risiken für Mitarbeiter*innen reduzieren sich auf Neues einzulassen
  • Bedürfnisse und Gefühle ansprechen
  • Selbstreflektion erzeugen und dabei jedes Individuum erreichen, indem man Fragen stellt wie: Was heißt das ganz konkret für mich und mein Verhalten?
  • Vergangenes wertschätzend verabschieden
  • Wahrnehmungsperspektiven verändern
  • Vereinfachen, mit Bildern und Symbolen arbeiten und Aufmerksamkeit lenken
  • Mit kommunikativen Elementen von Zugehörigkeit und Identität arbeiten

 

Die Königsdisziplin in der Königsdisziplin

Es gibt ein Patentrezept für Veränderung, dass fast in jedem Culture Change Projekt funktioniert: Partizipation!
Jede Veränderung bringt wie dargestellt Verunsicherung und Risiken mit sich – sei es nur dass etwa vertrautes Verhaltensmuster unwirksam werden. Das birgt immer das Risiko für negative Emotionen und offenen oder verdeckten Widerstand. Mitarbeiter*innen aktiv an der Veränderung zu beteiligen, ist jedoch in den meisten Fällen genau das richtige Rezept dagegen. Wenn Menschen ihre Zukunft und ihre neuen Arbeitsplätze selbst mitgestalten können, werden sie Teil des Neuen und verlieren die Angst. Selbstwirksamkeit erzeugt Selbstsicherheit und macht offen und frei für Kreativität. Partizipation zuzulassen und manchmal auch Umwege auszuhalten ist ein gelebter Vertrauensbeweis der Führung. Wir versuchen deshalb in jedem Veränderungsprojekt so viele partizipative Elemente wie möglich einzubauen. Auch wenn es Zeit und Ressourcen kostet. Im Gegensatz zur klassischen Strategieberatung wäre es im Culture Change geradezu ein Fehler, ‚fix und fertige‘ Konzepte abzuliefern. Das ist der Grund warum sich Strategieberatungen mit Culture Change Projekten so schwertun.
Die Selbstreflektion jedes/jeder Einzelnen ist in einem partizipativen Beratungs- und Veränderungsprozess bereits mit eingebaut und muss nur durch Berater*innen und Führungskräfte unterstützt werden (etwa durch Coaching). Mitarbeiter*innen und Talente wachsen in solchen Veränderungsprojekte oftmals über sich hinaus und zeigen ihre Talente. Gleichzeitig sind solche selbst gestalteten Veränderungen auch oft nachhaltiger.
Ein Culture Change Projekt braucht darüber hinaus wie jedes Projekt eine agile Roadmap, einen klassischen Projektplan. Und es braucht in den meisten Fällen eine professionelle Kommunikationsstruktur.

 

Culture Change kann funktionieren ähnelt aber eine Expeditionsreise

Zusammenfassend möchte ich sagen: Culture Change kann funktionieren. Aber es ähnelt eher einer langen Expeditionsreise, die man gut plant und bei der man auch auf Eventualitäten vorbereitet und spontan reagieren kann. Menschliche Verhaltensmuster wurzeln tief und so sind Kulturelemente oft auch sehr stabil und resistent gegen Veränderung. Und jede Veränderung im System hat immer auch seinen Preis, den man kennen sollte, bevor man Maßnahmen einleitet. Und menschliche Perspektiven und Verhaltensweisen ändern sollte eher einem Tangotanz als der Abarbeitung einer Checkliste ähneln.
Und je mehr man alle Menschen an der Veränderung aktiv beteiligen kann, desto besser funktioniert sie. Außerdem macht es Sinn, sich zumindest in der Analyse- und der Planungsphase externe Beratung zu leisten, die Erfahrung in solchen Veränderungsprojekten hat und vor allem eine externe Perspektive mitbringt.
Es gibt übrigens eine ‚Indikation‘ für mich ein Change Projekt abzulehnen: Wenn es keine eindeutig strategisch begründete Veränderungsintention in der Geschäftsführung gibt. Es müssen noch nicht immer alle Details einer Geschäftsstrategie ausgearbeitet sein. Rein kulturell begründete Veränderungsideen – etwa aus einem humanistischen Ideal heraus gedacht – sind oft zum Scheitern prädestiniert, weil der faktische Begründungszusammenhang fehlt.
Ich halte es ähnlich dem alten Bauhaus-Leitsatz ‚Form follows Function‘: ‚Change follows Strategy

 

Bei Interesse kontaktieren Sie mich oder uns gerne direkt!

Alexander Gisdakis
CEO und Partner Breitenstein Consulting
Alexander.gisdakis@breitenstein-consulting.de